„Lügen auf Instagram und schlechte Psychopharmaka“

Bei Passmann geht es um Politik, Gesellschaftskritik und „alte weiße Männer“. Auf den ersten Blick wirkt die Autorin und Journalistin so, als könnte ihr nichts und niemand zu nahe kommen. In dem neuen Buch über Frank Ocean kommt dagegen eine ganz andere Seite zum Vorschein: die der psychisch kranken jungen Frau und ihre Beziehung zur Musik. 

Sophie Passmann. Ein kurzer Bob mit Pony, etwas strubbelige Haare und stets einen frechen Spruch auf den Lippen. Ihr Instagram-Profil besteht aus Selfies, Buch- und Weinempfehlungen: „Für mich bitte nur die Weinkarte“. Andere wollen ihre Follower von Beautyprodukten und teurer Kleidung überzeugen, Passmann steht zu Ihrer Riesling-Leidenschaft. Nicht nur das: sie erklärt ihren Followern Hartz4 und diskutiert über politische Themen, allen voran der Feminismus. 

Alte weiße Männer und die Feministin

Das Bild das sie ausstrahlt ist das einer starken, selbstbewussten Frau. Ob auf ihren Profilen im Internet, ihr Auftreten in Talkshows oder auch ihre Standpunkte in Ihrem Buch „Alte weiße Männer“: Sophie Passmann wirkt stets gut vorbereitet und selbstbewusst. Sie diskutiert mit 15 Männern über die Charakterisierung des typischen alten weißen Mannes und schluckt dabei jegliche Meinungen: egal, ob es ehrlich gemeinte Unterstützung des Feminismus, oder die schockierende Ansicht von Rainer Langhans ist. Aber zieht sich dieses starke Bild wirklich komplett durch die 25-jährige, oder steckt tief in ihr noch etwas anderes?

„Ich habe oft übers Sterben nachgedacht. Ich hatte keine Angst davor – ich habe es mir eher gewünscht.“ 

Auf der Beerdigung von Passmann soll kein Pastor ewig lange reden, der sie ohnehin nicht kannte. Stattdessen soll das komplette Album „Blonde“ von Frank Ocean laufen. Und die Leute, die behaupten sie zu lieben, müssen ausharren und zuhören. In dem Buch „Frank Ocean“ (erschienen im Kiwi-Verlag 2019) zeigt die junge Journalistin plötzlich eine eher unerwartete Seite: noch nicht die Art Feministin, die sie heute ist. 

„Ich starrte mein Handy an und überlegte, ob ich es überhaupt verdient hätte, jetzt die neue Musik von Frank Ocean zu hören.“

Passmann schreibt von der Traurigkeit, die schon fast ihr ganzes Leben da war. Von Wochen, in denen sie den ganzen Tag nur im Bett liegen wollte. Leere. Dunkelheit. Lähmung. Selbsthass. Medikamente. Hoffnung. Eine Depression sei gut zu händeln, solange man so wenig wie möglich lebt. Ist gut weg zu ignorieren, mit den richtigen Medikamenten, sagt sie. Das ist vielleicht nicht der beste Rat an Menschen mit Depressionen, Passmann liefert aber einen anderen Aufhänger: Frank Ocean. 

„Er hat die Hintergrundmusik zu meinem Unglück geliefert“. Dabei könnten Ocean und Passmann sich optisch nicht mehr voneinander unterscheiden. Stille Wasser sind tief, wenn es um Passmann geht sind auch die feministischen tief. In der Neuerscheinung zeigt sie die Seiten ihrer manischen Depression, die man ihr so gar nicht ansehen würde. Der Musiker Frank Ocean ist für sie ein steter Begleiter einer schwierigen Zeit. Mit jedem Song des Albums „Blonde“ verbindet die Autorin einen Akt ihres persönlichen Dramas. Welche Abschnitte das sind, beschreibt sie so tiefgehend wie möglich. Zu tiefgehend? 

„Man findet immer Stellen an mir, die man kritisieren kann“ sagt Passmann. Mit ihrem Hosen herunterlassen bietet sie Angriffsfläche. So unterstellt ihr der Schweizer Journalist Roger Schawinski in seiner Talkshow, es sei nicht richtig, als ein so psychisch kranker Mensch anderen die Welt erklären zu wollen. Von der Leere und dem Selbsthass ist in dem Moment in Passmanns Mimik nichts zu sehen. Natürlich kann sie das: „Trotzdem bin ich geeignet, Ihnen die Welt zu erklären. Wenn man die Krankheit angeht, ist das kein Problem“.

Das war 2016. Was ist heute?

In „Frank Ocean“ geht es nicht nur um tiefsinnige Depression, sondern auch um’s Heute. Heute ist bei der Feministin „alles unverschämt gut“. Eine Hochphase der manischen Depression oder die Realität? Das weiß nur Passmann selbst – wenn überhaupt. Mittlerweile schreibt sie regelmäßig eine Kolumne für das ZEITMagazin, hat eine eigene Sendung beim Radio-Sender 1LIVE und spricht in einem Podcast über gutes und schlechtes Fernsehen.

In ihrer Art Kurzbiografie hat sie sich nackt gezeigt. Ihr neuestes Selfie auf Instagram trägt die Caption „Benutze 2020 keine Filter mehr, weil ich will, dass Leute nicht negativ überrascht sind, wenn sie mich in echt sehen“. 

Während ich diesen Beitrag recherchiert und geschrieben habe, habe ich mir das Album „Blonde“ von Frank Ocean angemacht. Auch wenn es nicht mein Geschmack ist – beim Lesen ihrer Leere fühle ich mich gleich in meine eigenen depressiven Phasen gezogen. Ich erkenne mich selbst wieder. Eins kann niemand leugnen: Ihre politischen Ansichten, ihre feministischen Argumentationen, ihre Spiegelselfies und ihre Depression – Passmann ist echt, ohne Hasenohren und Filter. Was im ersten Moment nach leichter Musik-Lektüre scheint, ist tief drinnen überraschend ähnlich wie Sophie: depressiv, aber beeindruckend stark.

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